It's Bibo, stupid!

Leise Töne sind nicht unbedingt des Amerikaners Sache. Schon gar nicht in Wahlkampfzeiten. Da mag er, dieses unzivilisierte Wesen, es lieber laut und eindringlich. Hier in San Francisco trifft man dieser Tage beispielsweise Frauen, die nun wieder (oder nach wie vor) ihre Obama-T-Shirts im Bling-Bling-Glitzer-Design spazieren tragen. Alternativ auch Sektierer, die am Union Square Plakate aufbauen, auf denen ein mit Hitler-Bart versehener Präsident prangt. Und wer gelegentlich durch amerikanische News-Channel zappt, wo sich Studiogäste wenigstens noch gebührend anschreien, statt verkrampft nach Konsens streben zu müssen, der wird Jauch und Kollegen als ähnlich aufregend wie eine Kaffeefahrt nach Buxtehude empfinden.

Über alledem bleiben die Themen an sich aber freilich nicht auf der Strecke. Und da wird es nun eng – natürlich für Mitt Romney. Sicher, das letzte TV-Duell hat er gewonnen und damit Heerscharen an Journalisten in eine tiefe Identitätskrise befördert. Aber so leicht kommt er nicht davon. Schon gar nicht, wenn es um seine Sparmaßnahmen geht.

Da wäre unter anderem der durch Steuern finanzierte Public Broadcasting Service (PBS), dessen Geldhahn Romney zudrehen will – und das, obwohl er Big Bird (Deutsch: Bibo), dieses zottelige gelbe Etwas aus der „Sesamstraße“, die wiederum via PBS mitsubventioniert wird, durchaus mag. Das ist in etwa so, als würde Peer Steinbrück ankündigen, die GEZ abzuschaffen, obwohl er die „Sendung mit der Maus“ ganz niedlich findet.

Wie dem auch sei, all das geht natürlich zu weit. Auch und vor allem für Obama, dessen Team durch Romneys Big-Bird-Kommentar zur Produktion eines ergreifenden Wahlwerbespots inspiriert wurde, worin die Sparmaßnahme gebührend aufs Korn genommen wird. Schauen Sie mal:





Jawohl, so sieht Wahlkampf mit Stil, Intellekt und Schlagkraft aus! Wo kommen wir denn da hin, wenn plötzlich jemand ganz humorlos zu sparen anfängt? Nun, zugegeben: Das Benzin wird hier nahezu täglich teurer, in Libyen wurde gerade ein US-Botschafter niedergemetzelt, und ja, da wären noch ein Schuldenberg sowie ein paar Millionen Arbeitslose. Aber das eilt ja nicht. Zumal diese Dinge auch nicht annährend so relevant wie Bibo und zig kleine Amerikaner sind, deren Held der kaltherzige Mr. Romney nun womöglich wegzurationalisieren gedenkt. Es gilt, die Zukunft eines gelben Flatterviehs, zugleich also Sujet einer nationalen Krise, zu retten – und wer könnte das besser als Barack Obama? Yes, he can!

Und deshalb warten wir jetzt natürlich gespannt auf weitere Wohltaten aus dem Oval Office. Wem wird Obama wohl als Nächstes unter die Arme greifen und einen Spot widmen? Einem bankrotten Disney-Store in New York, dem Barbie-Museum in Florida, oder doch eher einer ganz normalen Amerikanerin, der Mitt Romney vor Jahrzehnten im Sandkasten die Schaufel entriss? Egal, Hauptsache ist, dass der gute Mann sich nicht selbst überfordert und zum Schluss noch mit den Angelegenheiten befasst, derentwegen er eigentlich ins Weiße Haus gewählt wurde. Wieso auch Geld sparen, wenn es doch viel bequemer ist, die Realität auszusparen?

Eben. Dann schon lieber „Occupy Sesame Street“.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen. 

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