Alternative Selbstverständlichkeiten

Es gehört sicherlich nicht zu den Kernaufgaben eines amerikanischen Präsidenten, sich jedes Mal zu Wort zu melden, wenn ein paar Rand-Angehörige um die Ecke laufen oder mehrere Ränder gegenseitig aufeinander losgehen. Ein bisschen anders ist es möglicherweise, wenn Freunde der Hakenkreuz-Flagge eine Stadt regelrecht okkupieren und in bester Fackellaune ihre antisemitischen und rassistischen "Blut und Boden"-Fantasien kommunizieren, wie es nun in Charlottesville der Fall war. Und definitiv anders verhält es sich, wenn dieselben Zeitgenossen zusätzlich „Heil Trump!“ rufen, einer der ihren anschließend dem palästinensischen Car-Intifada-Trend folgend in eine Menschenmenge rast und dabei eine junge Frau tödlich verletzt. In diesem Fall könnte man von einem amerikanischen Präsidenten durchaus erwarten, dass er die verantwortlichen Extremisten klar beim Namen nennt, ohne dafür zwei Tage Zeit und jede Menge öffentlichen Druck zu benötigen. Naheliegend wäre auch, sich als Präsident insoweit von den Ereignissen zu distanzieren, als er den KKK-Liebhabern klar macht, dass er schlicht nicht ihr Mann ist und ihren Support weder möchte noch benötigt. Der amtierende Präsident brachte allerdings weder das eine noch das andere auf die Reihe.

Inzwischen hat es sich zwar herumgesprochen, dass Donald Trump kein „normaler Präsident“ ist. Aber die Maßstäbe, die man an den Führer der freien Welt anlegt, sind immer noch dieselben. Die neonazistische Weltanschauung zu verurteilen ist ungefähr der Inbegriff des Selbstverständlichen. Von Washington D.C. aus betrachtet verliert man dabei nichts. Es kostet wenig. Und es gibt praktisch keinen rational nachvollziehbaren Grund, es zu unterlassen. Viele Vertreter der GOP haben es auch geschafft. Nur Donald Trump selbst erweist sich als überfordert, wenn es darum geht, das Selbstverständliche zu tun.

Besonders raffinierte Anhänger des Trumpismus betonen nun zu seiner Verteidigung, dass es sich bei Neonazis schließlich nur um eine kleine und damit politisch unbedeutende Minderheit handelt. Das stimmt natürlich. Allerdings ist die Einflussarmut von Rassisten kein Naturgesetz. Vielmehr sind Neonazis auch genau deshalb eine Minderheit, weil die Mehrheit ihnen regelmäßig und unmissverständlich vermittelt, was sie von völkischen Ideen hält. Die Frage nach einer Welt ohne Rassisten stellt sich nicht. Entscheidend ist nur – wie bei allen anderen Extremisten übrigens auch -, dass sie eine möglichst gewaltfreie Minderheit bleiben, darum wissen und demzufolge nicht übermütig werden. Klare Worte eines Präsidenten wären dahingehend durchaus hilfreich. Wenn der Mann im Weißen Haus aber lieber Gewalt von „allen Seiten“ anprangert und damit sämtliche Rekorde der angewandten Äquidistanz bricht, vermittelt er den Fackelfreunden und denen, die (noch) heimlich mit ihnen sympathisieren, vor allem eines: jede Menge Morgenluft, getaucht in hellgrünes Licht.

Angesprochen auf einige seiner frauenfeindlichen Kommentare erwiderte Donald Trump während des Wahlkampfs, er hätte eben keine Zeit für „political correctness“. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass ihm schon die Zeit für Höflichkeit fehlt. Ob er irgendwann vielleicht wenigstens Normen des bürgerlichen Anstands und Fragen der Moral in seinen engen Terminplan integrieren können wird, bleibt derweil offen.

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