Es ist angerichtet

In München wird schon seit ein paar Jahrzehnten das „Leitmedium Nummer eins“ produziert. Es nennt sich „Süddeutsche Zeitung“, erreicht 1,48 Millionen Leser und ist dank einer täglich verkauften Auflage von 420.377 Exemplaren die größte überregionale Abonnement-Tageszeitung Deutschlands. Und wer schon mal den morgendlichen Berufsverkehr in Münchner S- und U-Bahnen erlebt hat, könnte glatt glauben, in der Landeshauptstadt würde nur diese eine Zeitung verkauft.

Jedenfalls besteht die Spezialität dieser einen Zeitung nicht nur in der Produktion eines umfangreichen Feuilletons. Auch mit der deutsch-jüdischen Symbiose kennt man sich dort bestens aus. Dass die „SZ“ diesbezüglich sogar führend sein könnte, steht spätestens seit Dienstag dieser Woche zu befürchten, als die Redaktion ihre rund anderthalb Millionen Leser mit einem besonderen Schmankerl verwöhnte. Denn in der Rubrik „Politisches Buch“ wurde diesmal von Heiko Flottau eine große Portion Sorge um den „liberalen Zionismus“ serviert, dessen „Niedergang“ in vollem Gange sei.

„Welchen Charakter hat dieses Israel heute, für dessen Bestand die Bundesrepublik seit mehr als einem halben Jahrhundert Milliardensummen ausgibt?“, orakelte es unter anderem in dieser Rezension zweier israelkritischer Bücher – eines von Peter Beinart, das andere von Werner Sonne. Abgerundet wurde dieses Menü aus der Münchner Sterneküche allerdings mit einer Karikatur, auf der eine nimmersatte und an Widerlichkeit nicht zu übertreffende Kreatur abgebildet ist, die sich von einer Bediensteten das Essen kredenzen lässt. Darunter heißt es: „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch. Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist.“

Nun ist die Karikatur an sich nicht antisemitisch. Sie stammt aus der Feder des Zeichners Ernst Kahl und wurde ursprünglich für ein Gourmet-Magazin konzipiert. Auch die Rezension an sich ist nichts, was man so oder in ähnlicher Form nicht schon insbesondere von den besorgten Münchner Israel-Freunden kennen würde. Doch wie so oft im Leben macht es eben auch hier die Mischung. Wir lesen von einem Israel, in dem Juden nicht nur ihre Macht missbrauchen, sondern das aufgrund all seiner Schandtaten („Drohungen gegen den Iran“, Expansion etc.) der deutschen Solidarität eigentlich nicht würdig sei. Passend dazu sehen wir ein Israel in Gestalt eines gierigen, dämonisch anmutenden Monsters und erfahren, dass Deutschland unter der Knute dieses „Molochs“ stehe.

Der verständige „SZ“-Leser kann daraus freilich nur eines schließen: Der jüdische Staat, dieses Monstrum, hält die armen Deutschen fest am Gängelband, saugt sie aus und stürzt sie so ins Verderben. Deutsche, wehrt euch! Das uralte Ressentiment gegenüber den Juden, die den Rest der Welt gängeln, wurde überdeutlich auf Israel umgemünzt.

Doch keine Sorge, alles nur ein „Missverständnis“, wie die „SZ“ kurz darauf betonte. Denn was antisemitisch ist, entscheiden schließlich die Macher der „SZ“ – und wären da nicht all die Nervensägen, die das anders sehen, hätte man schon längst wie gewohnt und völlig entspannt „um die Demokratie in Israel fürchten“ können. Zudem seien es ja gar nicht die „SZ“-Verantwortlichen, sondern „die Feinde Israels“, die den jüdischen Staat so sehen, wie es die Karikatur suggeriert. Ein scharfsinniges Argument. So gesehen wäre auch der „Stürmer“ kein antisemitisches Machwerk gewesen, denn letztlich zeigte er ja nur, wie Judenhasser die Juden wahrnehmen.

Am Ende des Tages ist ein solcher Vorgang allerdings wenig überraschend. Vielmehr ist er die Kür einer Jahrzehnte andauernden Vorstellung, die tagein, tagaus in deutschen Medien aufgeführt wird. Mal sind es die klassischen „Israel attackiert Gaza“-Zeilen, mal Personen wie Jakob Augstein und Günter Grass, die die krankhafte Israel-Obsession nicht nur nähren, sondern salonfähig machen. Auch den „SZ“-Machern ging es hier offenkundig nicht um sachliche Kritik, denn die wäre auch ohne Bilder möglich gewesen. Nein, das gesamte „SZ“-Menü transportiert nur eines, nämlich das unterschwellige Gefühl, ein Opfer der raffgierigen Juden zu sein. Ein Gefühl übrigens, das sich daneben gut verkauft, Kunden bindet und durch Bilder erheblich verstärkt wird.

Dass der „SZ“ all das vielleicht nicht klar war oder ist, tut dem keinen Abbruch. Dass solche Gefühle allerdings durch ein Leitmedium – und ein solches ist die „SZ“ zweifellos – in die Welt getragen werden, ist nicht nur neu. Es zeigt zudem, auf welche Weise die Deutschen ihren Knacks mittlerweile therapieren und was sie so alles aus der Geschichte gelernt haben. Zum Beispiel, dass man überzogene Israelkritik antisemitisch bebildern darf, solange man darauf hinweist, nur die Sicht der Israel-Hasser demonstrieren zu wollen. Insofern muss man der „SZ“ immerhin eines zugutehalten – nämlich, dass sie damit den aktuellen deutschen Krankheitsverlauf bestens dokumentiert hat.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.

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