Wenn der Fundamentalist zweimal droht

Was der Staat für seine Bürger zu tun hat, ist eine Frage, auf die es bekanntlich recht unterschiedliche Antworten gibt. Die einen finden, er habe seinen Schäfchen eine Allroundversicherung für die Risiken und Nebenwirkungen des Lebens zu garantieren. Andere hingegen wünschen sich mehr Tatendrang in Sachen Naturschutz und Klimawandel. Übergreifenden Konsens erzeugt dagegen sicherlich die Ansicht, wonach Vater Staat auch und vor allem für eines sorgen soll: Sicherheit. Und zwar Sicherheit vor Gangstern und Ganoven ebenso wie vor Mördern und Terroristen.

Nun klappt das mit der Sicherheit bekanntlich mal mehr, mal weniger prächtig. So ist der Staat beispielsweise aktuell nicht in der Lage, einem deutschen Staatsbürger, der in Ägypten mit dem Tod bedroht wird, Sicherheit zu garantieren. Die Rede ist vom deutsch-ägyptischen Autor Hamed Abdel-Samad, der erst neulich in Kairo über „Religiösen Faschismus im Islam“ referierte, was zuerst den Mob, anschließend aber auch zwei hochrangige Fundamentalisten zu öffentlichen Mordaufrufen veranlasste.

„Er muss getötet werden, und seine Reue wird nicht akzeptiert“ – so Scheich Assem Abdel Maged im ägyptischen Fernsehen. Ein Mann übrigens, der für gewöhnlich in Mursis Dunstkreis seine Runden dreht und daneben einer Islamisten-Truppe namens „Gamaa Islamija“ vorsteht, die bereits den Mord an Präsident Sadat auf ihr Konto verbuchen kann. Professor Mahmoud Schaaban von der al-Azhar-Universität Kairo, eine dem salafistischen Gruselkabinett entstammende Figur, schloss sich dieser Forderung unlängst an.

Hamed Abdel-Samad selbst ist mittlerweile ob dieser Ereignisse, die einer Fatwa gleichkommen, untergetaucht. Ein Schicksal, das im wörtlichen Sinne nicht nur ihn ereilt. Denn auch die politische Elite scheint es sich derzeit nahe der Tauchstation gemütlich gemacht zu haben. Fast könnte man sich Sorgen machen, großen Sorgen sogar, besonders um all die Claudia Roths, Volker Becks, Sebastian Edathys und Petra Paus der Bundesrepublik. So allzeit bereit sie sich sonst erweisen, wann immer es etwa um Rechtsextremismus, Menschenhass und dementsprechend antidemokratische Ideologien geht, so sehr scheinen sie derzeit andere Dinge zu beschäftigen. Einzig der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, schickte ein paar Takte in Richtung Kairo – wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Abdel-Samad selbst schon zuvor die Regierung dazu auffordern musste, ihren Job zu machen. Und das nach wie vor tut.

Doch vermutlich ist es einfach so, dass Demokratie im Allgemeinen, das Recht auf freie Rede im Besonderen, schlichtweg selektiv betrachtet werden müssen. Mal kann man sie von den arabischen Staaten einfordern, mal lässt man es bleiben. Ein groß angelegter Mordaufruf allein macht jedenfalls noch keinen Sommer. Und offenbar scheint auch Menschenhass nur solange bekämpfenswert zu sein, wie er an den deutschen Grenzen endet – oder zumindest, wie bei den meisten Fatwas vorerst üblich, dank TV-Übertragung nur gut versteckt in den Hinterhöfen diverser Bonner oder Berliner Moscheen stattfindet.

Nun muss man weder mit dem Autor selbst noch mit seinen Ansichten sympathisieren, um diesbezüglich Anlass für mindestens eine Pressemeldung zu erkennen. Tatsächlich ist es völlig irrelevant, ob der Betroffene nun Abdel-Samad oder Huber heißt, Autor oder Fliesenleger ist. Relevant dagegen ist die Tatsache, dass ein deutscher Staatsbürger von einem überschaubaren Mob an Radikalen mit dem Tode bedroht wird, weil er etwas aussprach, was andere als beleidigend empfinden, kurz: weil er sich seines nicht verhandelbaren Rechts auf freie Meinung bediente. Ein Recht, das einem Land, dem nach wie vor von Berlin aus gerne mal der Lenz attestiert wird, zumutbar sein sollte.

Wer allerdings dieser Tage noch mal ganz genau wissen will, was Kaltschnäuzigkeit und politische Heuchelei bedeuten, der muss nicht im Duden oder im Geschichtsbuch nachschlagen. Es genügt schon, den Klängen des dröhnenden Schweigens zu lauschen. Dass diejenigen, die stets zuverlässig nach Menschenrechten rufen, nun nicht in der Stimmung sind, deren Bedeutung zu erwähnen oder diese gar gegenüber der ägyptischen Regierung einzufordern, ist zwar generell nicht überraschend, bleibt aber dennoch mindestens ein politisches Armutszeugnis. Dass es allerdings unabhängig davon nicht mal von Interesse ist, wenn ein deutscher Staatsbürger möglicherweise nur noch ein Leben in Angst führen können wird, dürfte an Herzlosigkeit kaum zu überbieten sein.

Wobei: Eines muss man zumindest der Regierung in diesem Fall zugutehalten. Ein jährliches Taschengeld in Höhe von 100 Millionen Euro nach Ägypten überweisen, darauf versteht sie sich. Ganz und gar hervorragend sogar.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.

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