Mao, Che Guevara, Ho Chi Minh – und Osama!

Zu den Feiertagen, die trotz fehlender gesetzlicher Verankerung von immenser Bedeutung sind, gehört zweifellos der 11. September. Während man den Tag hierzulande mit längst lieb gewonnen Ritualen – eine neue „So war es wirklich“-Theorie hier, ein paar „unbequeme Fragen“ dort – begeht, darf natürlich einer nicht fehlen: Osama bin Laden, hauptberuflich Familienvater, nebenbei engagierter Freiheitskämpfer und Bombenbastler der Herzen in deutschen Landen. Vor allem, seit er nicht mehr unter uns weilt.

Sicher, eine gewisse Solidarität war schon damals zu spüren, als Osama im Gegensatz zu seinen 3.000 Todesopfern noch am Leben war und man sich hierzulande mit einem „Geschieht den Amis recht!“ auf den Lippen schadenfroh die Hände rieb. Aber nachdem der Terrorfürst im Mai vorigen Jahres ins Jenseits befördert wurde, war man dann völlig aus dem Häuschen.


Zu Recht! Zumindest, wenn man sich ansieht, wie respektlos hier mit einem Menschen umgegangen wurde. „Kommt Osama bin Laden trotzdem ins Paradies, weil er als Märtyrer gestorben ist?“, fragte die „Süddeutsche Zeitung“ voller Sorge, um später noch kritisch anzumerken, dass „Seebegräbnisse im Islam nicht üblich“ seien. Besser wäre es freilich gewesen, den Leichnam SZ-nah in der Hultschiner Straße in München beizusetzen. Doch nicht nur bin Ladens Zukunft zwischen Meeresgrund und Paradies gab Anlass zur Beunruhigung, sondern auch die Souveränität Pakistans, deren Schutz augenblicklich zum Teil deutscher Staatsräson mutierte.

Klar, Völkerrecht ist keine spannende Angelegenheit und interessiert hierzulande höchstens dann, wenn die Israelis es brechen. Doch nun war es ähnlich, und schließlich hätte man auch warten können, bis Herr bin Laden sich freiwillig bei der nächstgelegenen Polizeiinspektion meldet. Aber besser nicht in den USA, denn dort kehrte zeitgleich „barbarische“ Erleichterung ein, was hierzulande mit einem Kopfschütteln quittiert wurde. Es sei unzivilisiert, über den Tod eines Terroristen, der ja auch Mensch war, zu jubeln – die große Party hingegen, die vor 11 Jahren anlässlich 3.000 amerikanischer Opfer auf arabischen Straßen stattfand, ist verglichen damit geradezu ein Paradebeispiel an Zivilisation. Und überhaupt: „Du sollst nicht töten“ war das Gebot der Stunde, in der selbst die eifrigsten Kirchenkritiker ihre Prinzipien vernachlässigen mussten.

Die Empörung über den Tod eines Familienvaters kannte wahrlich keine Grenzen, ebenso wenig wie das Mitgefühl, das in Völkerrechtsdiskussionen ein geeignetes Ventil fand. Die Empathie an sich ist natürlich nichts Neues, denn Teile des Westens hatten schon immer ein Faible für Massenmörder, sofern sie ein „edles Ziel“ – also Kommunismus, Antiimperialismus, etc. – verfolgten. Darum wurden Mao, Che Guevara und Ho Chi Minh zu Ikonen des revolutionären Freiheitskampfes und sind es in gewissen Kreisen bis heute.

Als Team 6 der Navy SEALs Osama bin Laden ins Jenseits beförderte, schuf Amerika nicht nur in Teilen der islamischen Welt, sondern auch im Westen einen Märtyrer. Und hier nicht nur in pseudo-subversiven Kreisen oder Studenten-Gruppen, sondern in Redaktionsstuben, Beamten-Büros, Straßencafés und Künstlervierteln, also kurz: in der breiten Masse.

Deshalb ist die Autorin dieser Zeilen der Meinung, dass es nun aber wirklich Zeit wäre, Osama bin Laden ganz offiziell wie eine Ikone zu behandeln. Che-T-Shirts waren gestern. Der aufgeklärte Vertreter des Westens sollte Osama-Shirts tragen und seinen Video-Botschaften den gleichen Wert wie der Mao-Bibel damals verleihen. (Mehr Inspiration gibt es übrigens hier.) Wie umständlich muss es sein, stattdessen die pakistanische Souveränität zu verteidigen oder neue Theorien aufzusaugen?
Nein, so kann das nicht weitergehen. Im Grunde sollte man aus seinem Herzen keine Mördergrube machen und sich offen zur Solidarität mit einem Massenmörder bekennen, und gut is’. Das wäre wenigstens ehrlich, elf Jahre danach.



Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen. 

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