Der Traum vom Endfrieden

Jawohl, endlich ist es raus. Vorige Woche brach Günter Grass sein Schweigen und sagte, „was gesagt werden muss“. Denn schließlich ist es nichts Geringeres als die Bedrohung des Weltfriedens, die dem alternden Dichter den Schlaf raubt. In den Hauptrollen: Israel als Aggressor, Iran als unschuldiges Opfer. Unerhört, zumindest vielleicht für ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS. Deshalb verfasste Grass ein fantasiereiches Pamphlet, das er kurzerhand mittels der Enter-Taste entsprechend zerstückelte, um es so als Gedicht vermarkten zu können.
Verwirrung trifft auf Persilschein
Nun, worum genau geht es? Klar, um den „ohnehin brüchigen Weltfrieden“, den einzig die „Atommacht Israel“ (früher als „Weltjudentum“ bekannt) gefährde. Und natürlich auch um ein deutsches U-Boot, „dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen“ sei. Da es jedoch „morgen zu spät sein könnte“, muss jetzt eindringlich gemahnt werden. Auch auf die Gefahr hin, hinterher Strafe erleiden zu müssen. Glatt könnte man meinen, der Mossad hätte sich schon längst in der Lübecker Gartenlaube verschanzt und wäre nun zum Zugriff bereit. Doch der tapfere Märtyrer, der offenbar noch nie einen Hauch von Israelkritik in deutschen Landen vernommen hat, will eben nicht mehr schweigen.

Ziemlich spektakulär also, was das „lyrische Ich“ sich da herbeifantasiert. Denn wann genau Israel dem Iran, pardon, dem Land des friedlichen „Maulhelden“, mit atomarer Tilgung von der Landkarte gedroht haben soll, verrät es freilich nicht. Dass sich einzig die Mullahs in derartigen Drohungen ergehen, während Israel – eingekesselt von schrecklich netten Nachbarn, die einst gerne und oft zum kollektiven Angriff bliesen – Atomwaffen nur zur Existenzsicherung nutzt und lediglich über die Option eines präzisen Schlags auf iranische Atomanlagen nachdenkt, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. Und während das „lyrische Ich“ faktenresistent vor sich hin deliriert, ist es allein der Dichter, der Israel zum neuen Nazi uminterpretiert und sich selbst den Persilschein ausstellt. 

Frieden durch Suizid

Doch ihm, der sich erst beim Schälen der Zwiebel an seine SS-Vergangenheit erinnerte, geht es noch um etwas anderes. Was er will, ist Frieden. Grass wäre nicht Grass, also der Bescheidwisser der Nation, wenn er nicht wüsste, wie der Nahe Osten zu befrieden sei. Und das geht nur, indem man „den Verursacher der erkennbaren Gefahr“ – sprich: Israel – „zum Verzicht auf Gewalt“ auffordert. Der jüdische Staat möge also bitte zur vollständigen atomaren Abrüstung schreiten und zum Schluss auch die IDF der Heilsarmee angliedern. Dann nämlich könnte die Hamas gemütlich Qassam-Raketen abfeuern, die Hisbollah ungestört Beihilfe leisten und der iranische Maulheld in aller Ruhe sein Bömbchen abwerfen. Das „Krebsgeschwür“ Israel wäre entfernt, und die halbe Region vor Freude völlig aus dem Häuschen. Konsequenterweise gäbe es so natürlich auch Frieden, denn wer sich allein durch Israels pure Existenz ungeheuer provoziert fühlt, dem wäre nur durch vollständige Auslöschung des „zionistischen Gebildes“ zu helfen.

Was hier also so possierlich und en passant als „Verzicht auf Gewalt“ daherkommt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die an Israel adressierte Aufforderung zum Suizid. Ein Vorschlag, der nicht nur für die Fanatiker im Nahen Osten, sondern wohl auch für Grass’ „lyrisches Ich“ ein probates Friedenskonzept darstellt. Während er sich früher zum Handlanger derer machte, die den Juden einzig wegen seiner Existenz vernichteten, so dichtet er heute gegen den jüdischen Staat an sich an. Auch wenn Grass heute nicht mehr selbst anpackt, sondern Israel „nur“ zum Selbstmord rät: Die Logik bleibt gleich, ebenso wie die rotbraune Tinte, mit der Grass seinen Traum vom Endfrieden auf Papier verteilte.


Zuerst erschienen im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European". 

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